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Rechtsprechung

Videoüberwachung: Einwilligung ersetzt ZMG-Entscheid nicht

145 IV 42

6B_181/2018

Die Polizei kann sich bei der Durchführung einer Videoüberwachung im Innenraum eines Geschäftsbetriebes nicht auf die Einwilligung der Unternehmung stützen.

Da es sich um eine genehmigungspflichtige Überwachungsmassnahme handelt, ist zwingend eine vorgängige Genehmigung durch ein Zwangsmassnahmengericht erforderlich.

Entsprechend hat das Bundesgericht mehrfach festgehalten, dass die Erhebung, Aufbewahrung und Bearbeitung erkennungsdienstlicher Daten, worunter auch Videoaufnahmen fallen (BGE 137 I 327 E. 4.4 S. 330), im öffentlich-rechtlichen Verhältnis in das Recht auf Privatsphäre bzw. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen (BGE 138 I 331 E. 5.1 S. 337; BGE 136 I 87 E. 5.1 S. 101 und E. 8.1 S. 112; BGE 129 I 232 E. 4.3.1 S. 245 f.; BGE 128 II 259 E. 3.2 S. 268; Urteil 6B_1100/2015 vom 23. Juni 2016 E. 1.3; Urteil 6B_1143/2015 vom 6. Juni 2016 E. 1.3.4 hinsichtlich dem Erstellen von Videoaufzeichnungen durch die Polizei; je mit Hinweisen). Die Behauptung der Vorinstanz, es liege kein Grundrechtseingriff und folglich auch keine Zwangsmassnahme vor, geht damit fehl. Ob es sich bei der polizeilichen Videoüberwachung der Beschwerdeführerin um einen schweren oder leichten Grundrechtseingriff handelt, kann offengelassen werden, da die StPO die Qualifizierung als Zwangsmassnahme nicht von der Intensität des Grundrechtseingriffs abhängig macht (vgl. Art. 196 StPO).

E. 4.2

An der Qualifikation als Zwangsmassnahme vermag auch der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin 2 als Hausherrin in die Videoüberwachung eingewilligt hat, nichts zu ändern. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht ausführt, richteten sich die Ermittlungen gegen die Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin 2. Diese wurden im Nebenraum auf Video aufgezeichnet, ohne dass sie davon Kenntnis gehabt oder in diese Aufnahmen eingewilligt hätten. Obschon die Beschwerdeführerin zwar nicht Mieterin war und auch nicht das Hausrecht innehatte, war sie damit als Angestellte, welche in Wahrnehmung ihrer Aufgaben den fraglichen Nebenraum zu betreten hatte, von der Massnahme im Sinne von Art. 196 StPO betroffen. Die Beschwerdegegnerin 2 war nicht befugt, an Stelle der von der Überwachung betroffenen Beschwerdeführerin in die Überwachung einzuwilligen und so über deren Grundrecht auf Privatsphäre bzw. informationelle Selbstbestimmung zu verfügen. Die Frage, ob eine Zwangsmassnahme unbesehen einer Einwilligung der Betroffenen vorliege, kann damit offengelassen werden.

E. 4.4

Kommentar:

Ironie der Geschichte: Hätte die Unternehmung die fraglichen Überwachungskameras selbst installiert und betrieben wären die Aufnahmen – vorausgesetzt die einschlägigen arbeitsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Bestimmungen wären eingehalten gewesen – verwertbar gewesen.

Kommentierung auch bei Strafprozess.ch