BGer 1B_602/2020 vom 23. Februar 2021
Hintergrund des Entscheids
- Beschuldigter war beteiligt am Betrieb einer Hanfplantage
- Qualifizierte Widerhandlung gegen das BetMG
Strittig im vorliegenden Fall:
- Tatverdacht (vor BGer anerkannt)
- Beweistauglichkeit der Daten auf den Mobiltelefonen (pauschal vom BGer anerkannt)
- Verhältnismässigkeit der Durchsuchung (BGer bejaht)
- genügend substanziierte Geltendmachung der Geheimhaltungsinteressen (BGer: erfüllt, daher ist Triage-Verfahren durchzuführen)
Entscheidende Erwägungen
Der Beschwerdeführer bringt vor, alle verfahrensirrelevanten privaten Fotos, insbesondere intime Bilder der Freundin und der geschiedenen Ehefrau, sowie die Chatverläufe mit seiner Freundin, der geschiedenen Ehefrau, den Eltern, Geschwistern und seinem Patenkind seien zu schützende Privatgeheimnisse im Sinne von Art. 264 Abs. 1 lit. b StPO. Diese höchstpersönlichen Aufzeichnungen seien folglich auszusondern, hätten sie doch keinen Zusammenhang mit der wegen Cannabisanbaus geführten Strafuntersuchung. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern diesbezüglich das Strafverfolgungsinteresse überwiegen solle. Die Fotos befänden sich auf den beschlagnahmten Geräten unter der App „Fotos„. Eine darüber hinausgehende Substanziierung sei ihm nicht möglich, da ihm die Datenträger entzogen worden seien. Indessen hätte er die zu entfernenden Fotos im Einzelnen bezeichnet, wenn, wie von ihm beantragt, vor der notwendigen Triageverhandlung Akteneinsicht gewährt worden wäre. Die höchstpersönlichen Chatverläufe fänden sich sodann in den Apps „Whatsapp“ und „Threema“ und unter der App „E-Mail„. Inwiefern er die E-Mails und Chats in den Apps „Whatsapp„, „Threema“ und „E-Mail“ mit der Freundin, der geschiedenen Ehefrau, den Eltern, Geschwistern und dem Patenkind genauer hätte bezeichnen können, sei nicht ersichtlich.
4.1.
Mit diesen Ausführungen legt der Beschwerdeführer ausreichend dar, auf welchen seiner Geräte bzw. in welchen „Apps“ sich angeblich intime und nicht untersuchungsrelevante Fotos sowie persönliche Chatverläufe befinden. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann dem Beschwerdeführer insofern nicht vorgeworfen werden, er habe bloss pauschal geltend gemacht, auf den Mobiltelefonen befänden sich Informationen, die seine Privat- und Intimsphäre berührten. Es ist denn auch tatsächlich nicht ersichtlich, wie der Beschwerdeführer die Dateien ohne Akteneinsicht noch genauer hätte bezeichnen können. Bei drei Datenträgern kann sodann auch nicht von einer grossen Datenmenge gesprochen werden. Dies gilt umso mehr, sollte die leicht zu überprüfende Behauptung des Beschwerdeführers zutreffen, wonach sich auf den beiden sichergestellten Mobiltelefonen sowie auf dem Tablet infolge Synchronisation der Datenträger überall dieselben Daten befänden. Wenn die Vorinstanz vorliegend von „komplexen Datenträgern“ mit einer Vielzahl von Informationen spricht, kann ihr daher nicht gefolgt werden. Schliesslich ist auch nicht ersichtlich und weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Vorinstanz dargetan, inwiefern die intimen Fotos und die Chatverläufe des Beschwerdeführers mit seiner Freundin bzw. Familie für die vorliegende Strafuntersuchung wegen angeblicher qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz untersuchungsrelevant sein sollen (vgl. BGE 137 IV 189 E. 5.2 S. 197 f., Urteil 1B_423/2019 vom 5. März 2020 E. 1.3). Sein Interesse an der Wahrung seiner verfassungsrechtlich geschützten Privatsphäre (Art. 13 Abs. 1 BV) überwiegt mithin das Strafverfolgungsinteresse. Da der Beschwerdeführer seiner prozessualen Substanziierungsobliegenheit (Art. 248 Abs. 1 StPO i.V.m. Art. 42 Abs. 1-2 BGG) genügend nachgekommen ist, hat die Vorinstanz die Aussonderung der offensichtlich irrelevanten Daten nachzuholen.
4.2.
Kommentar
Ein Siegelungsbegehren dient – um ein offenes Geheimnis auszusprechen – nebst der Aussonderung geheimnisgeschützter Daten auch der Verzögerung und der Erhöhung des Aufwandes für die Strafverfolger. Keines dieser Ziele wird erreicht, wenn das Zwangsmassnahmengericht auf die Triage verzichtet, weil das Siegelungsinteresse nicht hinreichend substanziiert wurde.
Unabhängig von den (mitunter nach längerem Gebrauch eines Gerätes) sehr grossen Datenmengen, reicht es zur Erfüllung der Substanziierungsobliegenheit gemäss diesem Entscheid aus, die konkreten Apps zu nennen, in welchen sich die Geheimnis-geschützten Inhalte befinden: z.B. „Fotos“, „WhatsApp“ etc.
Wie das Bundesgericht jedoch zum Schluss kommt, bei drei Datenträgern könne nicht von einer grossen Datenmenge die Rede sein, erschliesst sich mir nicht. Es kann sich leicht um Datenträger mit hunderten Gigabyte handeln, die z.B. Millionen von Fotos fassen können.
Zusammenfassung auch bei Strafprozess.ch