Betroffene von Identitätsdiebstahl haben es heute nicht leicht, Unterstützung von den Strafverfolgungsbehörden zu erhalten, obwohl ein Identitätsdiebstahl massive Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben kann.
Praxisbeispiel: Wohnungs-Inserate SCAM
Der Typische Cyber-Fall zeichnet sich dadurch aus, dass die Täterschaft unbekannt (allenfalls unter Pseudonymen) bekannt ist und ihren Modus Operandi mit Hilfe des Internets umsetzt („Digitalisierte Kriminalität“).
Nehmen wir als Beispiel den seit Jahren verbreiteten Betrug mit Wohnungs-Inseraten:
Auf einer Immobilienplattform (z.B. Homegate) wird eine interssante Wohnung in Zürich ausgeschrieben. Die Eigentümer sind bereits ins Ausland verzogen und können die Wohnung nicht selber zeigen. Gegen eine Anzahlung von Fr. 500.00 erhalten Interessenten aber den Schlüssel zugeschickt, um die Wohnung besichtigen zu können. Kommt kein Mietvertrag zu Stande, erhalten Sie die Anzahlung sogar wieder zurück.
Nüchtern betrachtet ein recht offensichtlicher Schwindel. Aus Verzweiflung oder Leichtsinn fallen dennoch immer wieder Personen darauf rein und werden geschädigt.
Besonders perfide: Die Täterschaft legt als vertrauensbildende Massnahme eine Passkopie vor (die stammt von einem anderen Opfer) und missbraucht die Identität der Passinhaberin, inkl. dazugehörige E-Mailadresse.
Die Passinhaberin – eine erfolgreiche Geschäftsfrau, vielseitig präsent im Internet und auf Social Media, die selbst nichts mit der Täterschaft zu tun hat – wird in der Folge regelmässig über private und berufliche Kanäle in der Sache konfrontiert. Entweder wird sie gewarnt, ihre Identität werde missbraucht oder beschuldigt, sie sei eine Betrügerin. Im unangenehmsten Fall hagelt es gar Strafanzeigen.
Betrug, Ehrverletzung oder Identitätsmissbrauch?
Vortäuschen, eine Wohnung vermieten zu wollen, um eine Vorauszahlung zu erhalten und einzubehalten erfüllt, sofern arglistig, den Betrugstatbestand gemäss Art. 146 StGB.
Wie sieht es aber mit der Person aus, deren Reisepass / deren Identität andauernd missbraucht wird, um andere zu betrügen?
Es gibt keine gesonderten Tatbestand für Identitätsdiebstahl im Strafgesetzbuch und dies, obwohl die Auswirkungen für Betroffene massiv sein können. Zivilrechtlich stellt der Identitätsdibstahl eine Persönlichkeitsverletzung dar (28 ff. ZGB). Um die UT zu identifizieren, wird aber zwingend die (äsuserst aktive) Mithilfe der Strafverfolgungsbehörden benötigt. Es muss also ein strafrechtlicher Tatbestand her. Hier kommen primär die Ehrverletzungsdelikte in Frage: Derjenige, dessen Identität missbraucht wird, wird auch an der Ehre verletzt. Allerdings kennen viele – vor allem angelsächsische – Rechtsordnungen keine vergleichbaren Ehrverletzungstatbestände. Sie leisten daher mangels doppelter Strafbarkeit in diesem Bereich regelmässig keine Rechtshilfe. Ohne Rechtshilfe – vor allem von den USA (Kalifornien) – stosst man im Bereich Cybercrime bekanntlich rasch an Grenzen.
Identitätsmissbrauch
Der im Zuge der Totalrevision des Datenschutzgesetzes vorgesehene neue Art. 179decies StGB würde erstmals den Identitätsmissbrauch unter Strafe stellen:
Art. 179decies
BBl 2020 7639
Identitätsmissbrauch
Wer die Identität einer anderen Person ohne deren Einwilligung
verwendet, um dieser zu schaden oder um sich oder einem Dritten
einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, wird auf Antrag mit
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.
Die vergleichsweise sehr geringe Strafdrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe wird dem Problem freilich nicht gerecht und wird keinen erheblichen Einsatz von Strafverfolgungsressourcen rechtfertigen.
Es bleibt der Geschädigten aus Identitätsdiebstahl vorderhand also nur, sich auf den Betrugstatbestand zu berufen. Entweder sie zahlte und wurde so selbst durch Betrug geschädigt oder es blieb eim Versuch.
Strafbarkeitslücke?
Eine Strafbarkeitslücke im eigentlichen Sinn besteht nicht. Die Handlungen der Täterschaft werden entweder vom Tatbestand des Betrugs, von Ehrverletzungsdelikten oder der Urkundenfälschung erfasst.
Praktische Probleme ergeben sich dennoch: Was ist wenn jemand zunächst auf die Masche hereingefallen ist und der Täterschaft seine Passkopie zukommen liess? Danach zahlte die Person aber nicht, wurde nicht Betrugs-Geschädigte.
Dennoch verwendet die Täterschaft den so erlangten Reisepass und die damit verbundene legitime Identität bei hunderten von Betrugsversuchen.
Geht die Eigentümerin des Reisepasses zur Polizei, wird man ihr sagen, ihr Fall sei nicht sehr gravierend, sie sei ja nicht einmal Betrugsopfer geworden, weil sie nicht gezahlt habe. Es werden keine Ermittlungen getätigt werden, schon gar nicht die enorm aufwändigen, die nötig wären, um in solchen Konstellationen etwas zu erreichen. Der individuelle Schaden der vielen Betrugsopfer (z.B. Fr. 500.00 im Einzelfall) tritt offensichtlich zurück vor der massiven Betroffenheit der Person deren Identität missbraucht wird. Ihr Ruf leidet und sie wird andauernd von Fremden in dieser Sache kontaktiert, dies unter umständen jahrelang.