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Rechtsprechung

Forensiche Analysen durch die Verteidigung

BGer 6B_1231/2018 vom 20.03.2019

Original Entscheid auf Französisch. Übersetzung mit deepl.com

Verfahrenskontext: Amtliche Verteidigung, Wirtschaftsdelikt (Veruntreuung, Urkundenfälschung).

Die Kostennote des amtlichen Verteidigers belief sich auf rund 106 Stunden. Davon waren 32 Stunden auf die Analyse von Daten ab dem PC des Beschuldigten aufgewendet worden.

Das erstinstanzliche Gericht hatte sich geweigert, die 32 Stunden zu vergüten mit der Begründung, es handle sich dabei um Analysen im Sinne der IT-Forensik. Diese oblägen (nur) der Polizei und könnten von der Verteidigung nicht im Rahmen eines amtlichen Mandates abgerechnet werden.

Das Bundesgericht korrigierte diesen Fehlentscheid schliesslich im Rahmen seiner Willkürprüfung:

Das kantonale Gericht befand, dass die Aufgaben der Extraktion und Analyse von Computerdaten forensische Tätigkeiten seien, die in den Zuständigkeitsbereich der Polizei fielen – die über eine spezialisierte Einheit für diesen Zweck verfüge – und die daher keine typische Strafverteidigungstätigkeit darstellten, die als solche zu vergüten sei. Wenn sie also relevant im Sinne von § 139 Abs. 2 StPO waren, hätten die Beweisanträge den Strafverfolgungsbehörden vorgelegt werden müssen. Der Berufungskläger hatte es jedoch vorgezogen, dies nicht zu tun und erklärte dem Gericht, dass er eine Ablehnung vermeiden wollte.

E. 2.2

Dem angefochtenen Urteil ist weder zu entnehmen, dass die Analyse und Suche nach Dokumenten durch den Kläger auf dem Personalcomputer und der externen Festplatte des Beklagten für seine Verteidigung unnötig gewesen wäre, noch dass die bei dieser Gelegenheit entnommenen Dokumente irrelevant gewesen wären. Das Kantonsgericht hat auch nicht festgestellt, dass der Zeitaufwand für diese Tätigkeiten unverhältnismäßig gewesen sei. Die streitgegenständlichen Schritte jedoch nur deshalb nicht zu berücksichtigen, weil sie auch von der Polizei hätten durchgeführt werden können, läuft darauf hinaus, dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu verwehren, im Besitz seines Mandanten befindliche, potentiell entlastende Dokumente einzusehen und deren Relevanz im Hinblick auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu prüfen. Da der Angeklagte nicht zur Mitwirkung am Verfahren verpflichtet war (vgl. § 113 Abs. 1 StPO), konnte ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er es nicht für zweckmäßig erachtet hatte, die Computerdaten des Angeklagten durch Beweisanträge der Verfahrensleitung zur Prüfung vorzulegen. Schliesslich konnte das kantonale Gericht, ohne die Notwendigkeit der Verteidigungsanordnung von Amtes wegen in Frage zu stellen, nicht erwägen, dass es sonst denkbar gewesen wäre, dass der Angeklagte die fraglichen Schritte von seiner Haftanstalt aus selbst hätte unternehmen können.

E. 2.2

Dem Entscheid ist nicht zu entnehmen, ob die Tätigkeit der Verteidigung tatsächlich mit einer IT-Forensischen Analyse vergleichbar war, was zu bezweifeln ist. Eine IT-Forensische Analyse würde die Spiegelung von Datenträgern umfassen (bit-für-bit-Kopie), das Wiederherstellen gelöschter Dateien, die Indexierung der Daten, die Aufbereitung zur Durchsuchung mit spezialisierten Tools etc.

Vielmehr dürfte es sich um simples „elektronisches Aktenstudium“ gehandelt haben.

Der Umstand, dass aber ein Gericht auf die Idee kommt, Verteidigungsaufwand zu kürzen, weil es „etwas mit Computer zu tun hat“, zeigt, wie alles was auch nur am Rande mit IT zu tun hat noch immer als Spezialgebiet behandelt wird.

Interessant wäre die Frage, ob auch tatsächliche IT-forensische Tätigkeiten im Auftrag der Verteidigung entschädigungspflichtig wären – und ob dies in der Praxis gemacht wird.

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